Zeit als Grundgröße
Was ist Zeit?
“Es war einmal der Mensch…” – Zeichentrickserie der 80er
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“Zeit” ist praktisch eine der beiden physikalischen Grundgrößen menschlichen Denkens, wobei die andere der “Raum” ist.
Zeit gibt den Abstand zwischen zwei sich unterscheidenden Zuständen an.
Ein “Zustand” von etwas ist gleichbedeutend mit der Entität von etwas, also der Frage, danach, was etwas “ist”, das “Sein” von etwas.
Grundlegend ist demnach für Zeit, dass es zwei von etwas gibt.
eigener Kommentar, SH 03.2008
Beispiele:
1)

2)

eigene Animation, SH 08.2010
Umkehrbarkeit der Zeit
Soweit scheint es noch einfach: Zeit ist die Abfolge von Ereignissen. Deshalb hat Zeit auch eine Richtung. Ein Ereignis kommt zuerst, das andere danach. Doch ist Zeit auch umkehrbar?
Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Zwei Ereignisse, Ereignis A und Ereignis B. Ganz so wie meine Animationen oben von August 2010. Der entscheidende Punkt hier ist die/der Beobachter*in. Diese/r nämlich hat einen eigenen Bezug, etwa das Zimmer, von dem sie/er auf das Display und diese Webseite schaut. In diesem Zimmer aber gibt es deutlich mehr Ereignisse, als die beiden betrachteten A und B. Durch diesen Kontext aber sieht man eine Abfolge von Ereignissen A und B.
Nun, was passiert, wenn man sich diese/n Beobachter*in wegdenkt? Lässt sich dann noch sagen, wie oft oder auch wie schnell A und B gewechselt haben?

Die Antwort ist Nein, denn es fehlt jeglicher Bezugspunkt. Zwar gibt es zwei Ereignisse, A und B, aber eben nicht mehr. Kein vorher, kein nachher, kein wie oft, kein wie schnell. Erst durch einen Bezug zur Außenwelt kommen solche Kriterien hinzu. Wichtige Folge hieraus: es gibt keine grundsätzlich vorgegebene Richtung oder Skalierung der Zeit. Jedenfalls nicht bei dem bis hierher besprochenen sehr abstrakten Zeitbegriff. Lediglich ist klar, dass es für ein Bezugsystem genau eine Richtung ist. Es spricht nichts dagegen, dass sich in diesem Bezugsystem die Zeit dreht oder dehnt. In diesem System wäre nichts davon zu merken. Erst wenn es eine/n weitere/n Beobachter*in von außen gäbe, wäre die Zeitumkehr oder Dehnung spürbar, aber auch nur für diese/n Beobachter*in.
Zeit in der Physik
Die Physik als grundlegenste aller Naturwissenschaften wiederum lebt klassisch von Beobachtung und Experiment. Seit einigen Jahrzehnten auch von Simulation. In den letzten Jahren wandert der Fokus in der Wissenschaft auf Daten im allgemeinen. Seien es beobachtbare, experimentelle oder generierte. Für die Physik muss ein Experiment wiederholbar sein. Die gleiche Ursache muss die gleiche Wirkung hervorrufen. Es ist also ein Ereignis mit immer wieder dengleichen, wiederholbaren Anfangsbedingungen. Wenn ein Experiment immer wieder diegleiche Beobachtung liefert, kann es eine theoretische Vorhersage bestätigen. Dennoch gibt es auch sehr viele Experimente, in denen Ereignisse untersucht werden, die lediglich Wahrscheinlichkeiten unterliegen. Erst durch die Beobachtung wird (quantenmechanisch) festgelegt, welches Ergebnis genau eintritt bzw. vorliegt.

Was heißt das für die Zeit? – Das CPT-Theorem (für engl. charge, parity, time = Ladung, Parität, Zeit) besagt, dass alle physikalischen Gesetze invariant gegen gemeinsame Umkehr von Ladung, Zeit und räumlicher Spiegelung sind. In der Tat wurden in der Teilchenphysik nämlich Ereignisse entdeckt, die variant bei Zeitumkehr waren. Doch ist dies in meinen Augen nur möglich durch das obige Prinzip der/s Beobachterin bzw. Beachters. Es gibt ein äußeres System, zu dem eine Beziehung hergestellt wird. In der Physik etwa die Messung.
Der Mensch und die Zeit
Der Einzelne
Ein Mensch aber, ein einzelner Mensch hat nur das eine, sein eigenes (Bezugs-)System, auf das er all seine Beobachtungen bezieht. Zwar gehören zu diesem System auch andere Wesen, insbesondere Menschen, aber sie liefern nur sehr indirekte Beobachtungen für den individuellen Menschen. Insbesondere ist im Bezugssystem eines einzelnen Menschen wirklich nichts im eigentlichen Sinne wiederholbar. Stets gibt es statistische Abweichungen und Fehler.

Deshalb die Frage: Was macht “Menschenzeit” aus? Ein Mensch hat keine innere stabile Zeit. Er braucht sich ständig wiederholende Vorgänge, um sich zeitlich zu orientieren. Diese Vorgänge (in der Regel aus Uhren, aber auch als Teil von Musik) kann er subjektiv miteinander vergleichen. Dabei stellt er aber ebenfalls Fehler und Abweichungen fest. Erst, wenn diese Abweichungen unterhalb seiner wahrnehmbaren Schwelle liegen, scheint der Lauf der Zeit konstant. Ein wichtiges Erleben des Menschen: der Wandel in der Zeit und damit der Wandel der Zeit selbst.
Die Gruppe
Es erklärt auch die Liebe fast aller Menschen zur Musik und zum Tanz, als zeitliche Klang- und Rythmus- und/oder Bewegungsabfolge gesehen. Wiederholbarkeit, Takt, Ton, Periodizität, Harmonie, Disharmonie – nun, man wird an dieser Stelle merken, dass ich keine gute musikalische Bildung genossen habe. Dennoch empfinde ich mich selbst als musikalisch, habe lange Jahre erfolgreich als DJ gewirkt. Ich habe viel Erfahrung darin, das musikalisch-zeitliche Empfinden einer Gruppe von Menschen zu begleiten und Wohlgefühl und Erregung, aber auch Überraschung und Veränderung der Wahrnehmung zu erzeugen. Wir atmen und hören alle dieselbe Luft.
Ein Mensch, der sich isoliert, der seine Umwelt als Belastung empfindet, hat kein sehr beruhigendes Zeitgefühl mehr. Fühlt sich unwohl. Er wird unstet, erlebt manche Zeitspannen gedehnter, andere wiederum gestraffter als andere.
Die Gesellschaft
Das ist der Grund, warum die Arbeit so wichtig für die Gesellschaft und für die Menschen darin ist: sie gibt den Menschen eine gemeinsame Zeit. Geld ist nur ein fadenscheiniger Motor für Arbeit. Es ist eigentlich nur Mittel zur Machtausübung. Keiner/m, die/der nicht für ihren/seinen Lebensunterhalt arbeiten muss, wäre es wichtig, wieviel Geld sie/er für ihre/seine Arbeit bekäme. Gesellschaftliche Anerkennung und Sinnhaftigkeit, etwa für den Erhalt der Natur und des Planeten, wäre viel wichtiger.

Sicherlich erleben wir die Zeit als unumkehrbar. Doch das ist ein statistisches Phänomen, wie ich auch in diesem Artikel über Realität erläutert habe.
Fazit
Als einzelner werde ich niemals “direkten” Kontakt zu einer messbaren Zeit haben können. Sicher: ich kann eine Uhr anschauen oder einen Kalender, aber beides ist kein unmittelbares, direktes Erlebnis. Es ist nur punktuell und von außen. Anders etwa als die Existenz meines Körpers oder das Empfinden eines “ich”. Sie sind fortwährend da, Tag und Nacht. Masse, Trägheit und Bewegung kann ich unmittelbar erfahren. Ich habe auch wenig Einfluss auf die Art dieser erlebten Erfahrung im Detail. Bei der Zeit ist das anders.

Dennoch suggeriert die Naturwissenschaft die Existenz einer solchen direkt messbaren Zeit und nennt sie “t”. Eine skalare, reele Größe. Ihre Bedeutung aber hängt stark von meinem Blick auf die Welt und von meinem Erleben ab und natürlich von meinem Bezug zur menschlichen Gesellschaft, die sich seit Newton und Leibniz nur scheinbar nicht mehr ohne den von dort stammenden Zeitbegriff denken lässt.
Die katastrophale Entwicklung des Planeten im Sinne der Bewohnbarkeit für den Menschen durch Ausbeutung und Kapitalismus sollte Anlass sein, auch den Zeitbegriff auf den Prüfstein zu setzen. Ein dünnes Glas zerspringt sofort, wenn es auf den Boden aufschlägt. Aber ein Mensch schläft nicht automatisch sofort ein, wenn er sich bettet. Die naturwissenschaftliche Zeit t ist nach meiner hier beschriebenen Ansicht gar nicht wohldefiniert, sondern ein mathematisches Konstrukt, dessen Existenz in der Realität nicht beweisbar ist. Was ist jetzt? Was ist ein Zeitpunkt?
Ich bin hier. Ich bin jetzt. Punkt.
eigener Kommentar, SH 12.2021